Neue Heldinnen braucht das Land: Per defnitionem ist ein Held ein „durch große und kühne Taten besonders in Kampf und Krieg sich auszeichnender Mann edler Abkunft“, der durch „sein Verhalten zum Vorbild gemacht wird“. Aber müssen Helden unbedingt Männer sein? Kann es – oder muss es nicht sogar – zusammen mit „heroes“ auch „sheroes“ geben, starke Frauenbilder, die das gesellschaftliche Leben defnieren und uns als Vorbilder dienen? Mit der Notwendigkeit der „Shero“, der weiblichen Heldin in unserer Gesellschaft, beschäftigt sich die kroatisch-deutsche Schriftstellerin und Leiterin des Interkulturellen Zentrums Heidelberg Jagoda Marinić in ihrem Essay „Sheroes: Neue Heldinnen braucht das Land“. Ausgangspunkt des Essays ist die Social Media-Kampagne #MeToo, die im Oktober 2017 von der US-amerikanischen Schauspielerin Alyssa Milano ins Leben gerufen wurde und seitdem wie ein Tsunami in allen verschiedenen Ländern der Welt ihre Spuren hinterließ. Alyssa Milano startete nicht nur die Vorwürfe gegen den weltweit bekannten Filmproduzenten Harvey Weinstein, unzählige Frauen sexuell missbraucht zu haben, sondern rief noch dazu in einem Tweet alle anderen Frauen, die ebenfalls sexuell missbraucht wurden, dazu auf, sich durch die Antwort #MeToo zu erkennen zu geben, um allen Menschen die Tragweite des Problems zu verstehen zu geben. Während die Kampagne in den USA, Frankreich oder Großbritannien Skandale und reihenweise Entlassungen von Männern in Führungspositionen ausgelöst habe, sei Deutschland nur „Zaungast der wichtigsten feministischen Debatte der letzten Jahrzehnte“ geblieben, so die Schriftstellerin Jagoda Marinić . In „Sheores“ fordert diese nun dazu auf, #MeToo als Gesprächsangebot zwischen Männern und Frauen zu nutzen, um auch im Alltag über „Frauen, Rollenbilder und Macht“ zu reden und dabei „die Männer mit ins Boot“ zu holen. Sie steht für einen globalen Feminismus und Solidarität unter Frauen sowie für ein Frauenbild mit starken Frauen, die „einem Straftäter, ganz egal wie mächtig, eine in die Fresse (geben können)“ und zeigt vor allem an Beispielen von Frauenfguren wie Ruth Bader Ginsburg, Christine Blasey-Ford oder Michelle Obama, wie wichtig weibliche Frauenfguren als Vorbilder sein können und wie sehr unsere Gesellschaft diese sogar benötigt. Sie verabschiedet sich dabei vom archaischen Heldentum der Odysee und ruft zu Verletzlichkeit auf, denn „in der heutigen Zeit fallen Helden, weil sie zu stark sind, um schwach zu sein“. Sheroes sind für sie „jene Menschen, die gesellschaftliche Kämpfe hinter sich haben und davon berichten, damit andere lernen können“. Bereits der neologistische Buchtitel „Sheroes“ zeigt, dass Jagoda Marinić nach Neuerfndungen strebt. Sie strebt danach, Feminismus neu zu denken und diesen nicht „glatt(zu)bügeln“, wie es ihren Aussagen zufolge in Deutschland geschehe, sie wünscht sich mehr Feminismus, sowohl im Alltag, zum Beispiel „abends am Esstisch, in intimen Momenten oder bei Spaziergängen“ als auch in größeren politischen Zusammenhängen, denn „in sechs deutschen Länderparlamenten liegt der Frauenanteil unter dreißig Prozent“. Vor allem geht es ihr aber darum, die #MeToo-Debatte zu nutzen, um auf gesellschaftliche Missstände aufmerksam zu machen und weiterzudenken: Und genau das ist in unserer heutigen Gesellschaft unabdingbar, weiterzudenken und neue Verhaltensmuster hervorzurufen, sich nicht mit bestehenden Strukturen zufriedenzugeben, sondern für Rechte zu kämpfen und Dinge zu verändern. Diese Neuerfndung in der Gesellschaft wird von Jagoda Marinić in „Sheroes“ jedoch mit dem Heldenbegrif kombiniert, was sich doch durchaus als problematisch darstellt. Warum ruft Jagoda Marinić zu „Verletzlichkeit“ und Empathie auf und wünscht sich gleichzeitig ein doch eher klassisches Heldenbild, zwar mit Frauen, aber eben doch mit Vorbildern von starken Karrierefrauen wie zum Beispiel Ruth Bader Ginsburg? Muss man denn unbedingt ein Held sein, um gesellschaftlich angesehen zu sein und anderen als Vorbild zu dienen? Ist es nicht vielleicht sogar das Grundproblem unserer Gesellschaft, dass man immer heldenhaft und leistungsfähig sein soll? Steht sie nicht selbst für „ein Berufsleben, das in beiden Geschlechtern noch Menschen sieht und nicht Selbstverwirklichungsmaschinen“? Jagoda Marinić behauptet: „Heutzutage fallen Helden, weil sie zu stark sind, um schwach zu sein.“ Ganz zu Ende scheint sie diese These jedoch nicht gedacht zu haben.Warum nicht einfach noch einen Schritt weitergehen und sich ganz vom Heldenmythos verabschieden, viele verschiedene Stimmen zu Wort kommen lassen und so das Thema Feminismus von ganz verschiedenen Seiten neu aufblühen lassen? Trotz allem bleibt der Essay „Sheroes“ ein bewundernswertes Zeugnis einer starken Frau, die mit ihrer wütenden und fast sogar rotzigen Sprache Menschen wachrütteln, auf Missstände hinweisen und zum Gespräch aufrufen möchte. Sie inspiriert andere Frauen dazu, sich selbst zu verwirklichen und trotz jeglicher Hindernisse zu sich selbst zu stehen und innere Kräfte freizuschalten. Jagoda Marinić ist vielleicht keine „Sheroe“, aber in jedem Fall ein Vorbild. Als Leiterin des Interkulturellen Zentrum Heidelberg ist es ihr gelungen, zu sich selbst zu stehen und innere Kräfte freizuschalten. Sie ermutigt Frauen dazu, ihre eigene Geschichte zu erzählen, denn damit ein „Erdbeben“ entstehen könne, komme es auf jede einzelne Geschichte an und gerade auf dieses Erzählen von Geschichten, auf Empathie und gegenseitiges Zuhören, zu dem Jagoda Marini Jagoda Marinić aufruft, kommt es heutzutage an. Das Thema Feminismus kann nur durch immer neue Geschichten und Erzählungen weiter aufgegriffen werden. Genau deshalb ist es endlich an der Zeit, sich von alten Mustern und dem Heldenbild zu lösen, um neue Gesellschaftsformen zu fnden.Wir dürfen nicht aufhören, Feminismus immer wieder neu zu denken und uns gegenseitig zum Gespräch aufzufordern, denn wie Jagoda Marinić richtig aufzeigt, gehören zum Feminismus beide Seiten, Männer und Frauen und vor allem: Kommunikation.
Lena Kücherer