Cercle de lecture / Lesekreis
Vous aimez lire ? Vous avez envie de découvrir la littérature germanophone contemporaine ? Venez donc participer au Cercle de lecture (en allemand) de la Maison de Heidelberg. Nous discuterons ensemble d’une œuvre lue à l’avance, choisie en commun au fur et à mesure des rencontres et, bien sûr, selon nos goûts.
Jenny Erpenbeck : Kairos, Penguin Verlag, München 2021, 379 Seiten.
Schon so viele Lesekreise seit Schlinks Olga und nun soll endlich mal wieder unser Eindruck vom Buch hier erscheinen, also: Wir waren uns einig, dass Jenny Erpenbeck hier vom literarischen Handwerk etwas Bemerkenswertes gelungen ist. Denn obwohl die « Liebesgeschichte » zwischen Katharina und Hans für uns alle nur schwer zu ertragen war, haben wir so viel mitgenommen aus diesem absolut vielschichtigen Roman, über die DDR und Machtverhältnisse, aber auch das Gefangensein in einer Zeit.
Bernhard Schlink : Olga, Diogenes Verlag, Zürich 2018, 320 Seiten.
Es ist die Geschichte einer Frau vom Beginn bis zum Ende des 20. Jahrhunderts. Kaum abstreitbar, dass der Autor dem Leser durch diesen Roman eine starke, beeindruckende, bewundernswerte Frauenfigur geschenkt hat. Eine Frau, die, in einer Zeit, in der das noch nicht üblich war, für ihre Träume kämpft, die von Schicksalsschlägen getroffen wird, immer wieder zurückgelassen wird, die wütend und enttäuscht ist von dem, was um sie herum passiert und die sich trotzdem nicht unterkriegen lässt.
Aber der Erzähler bündelt die Handlungen und gibt wenig Einblick in das Gefühlsleben der Protagonistin. Dadurch fehlt ihr an einigen Stellen die nötige Tiefe, um sie dem Leser wirklich ans Herz wachsen zu lassen und damit man beim Lesen wirklich mit ihr fühlt.
Ausserdem rast der Leser durch die deutsche Geschichte. Erster und zweiter Weltkrieg, Weimarer Republik und 68er-Bewegung. Schlink schreibt die Erzählung vor dem Hintergrund der Geschichte und sie spielt eine mehr als nur nebensächliche Rolle. Aber niemand kann erwarten, dass man auf rund 300 Seiten 80 Jahre deutscher Geschichte und deren Auswirkungen auf ein Einzelschicksal sowie die damit verwobenen Figuren erzählen kann. Vielleicht wollte Schlink mit diesem Roman zu viel und Olga bleibt ein Schatten, der auf die schemenhaft dargestellte deutschen Geschichte geworfen wird. Erst der letzte, so viel intimere Teil, bringt dem Leser Olga wirklich nah.
Johanna Schnitzler
Arno Camenisch : Der letzte Schnee, Engeler-Verlag, 2018
Georg und Paul warten auf den Schnee und damit auf die Kundschaft für ihren Schlepplift. Während der eine versucht, sich bestens organisatorisch auf den großen Ansturm vorzubereiten, redet der andere bildstark gegen die Zeit an und versucht durch seine Anekdoten eine vergangene zurückzubringen. Absurd, aber komisch, durchweg sympathisch, kann man sich die beiden in einer Theaterinszenierung vorstellen. Aber der Schnee will nicht wirklich kommen und der Wandel der Zeit und auch die Auswirkungen des Klimawandels auf das abgeschiedenste Dorf in den Bündner Bergen wird spürbar. Arno Camenisch hat sich im Rahmen der Comédie du Livre 2019 als exzellenter Leseperformer präsentiert, als er in vier Sprachen, nämlich Schweizerdeutsch, Rätoromanisch, Französisch und Italienisch, aus seinem ersten Roman Sez Ner (2008) gelesen hat.
Alex Capus : Das Leben ist gut, Carl Hanser Verlag, München 2016, 240 Seiten.
Ganz anders als Léon und Louise. Max hat eine Kneipe und erzählt vom Alltag, von seinen Gästen, von Freunden, vom eigenen Nichtweggehen und dem Festhalten an den guten Dingen, aber auch an zwischenmenschlichen Beziehungen, wie der zu seiner Frau Tina, die nun nach vielen Jahren Ehe erstmals beruflich ohne ihn unterwegs ist. Auch Alex Capus hat eine Kneipe, die man sich etwas wie die Sevilla Bar vorstellen darf. Vielleicht hängt auch da so ein Stierkopf. Jedenfalls sagt der Autor von sich, dass er keine Phantasie hat. Dafür hat er einen feinen Blick für all das Gute im Leben.
Alain Claude Sulzer : Die Jugend ist ein fremdes Land, Galiani-Berlin, Berlin 2017, 224 Seiten.
Ein Buch der Erinnerungen an eine Jugend in der Schweiz der 50er bis 70er Jahre. Wie ein Puzzle ergibt sich nach und nach eine Sammlung sehr subjektiver, aber nie wertender Beobachtungen voller Details und mit Witz. Keine Autobiographie und kein Roman – was bin ich? In jedem Fall wecken die erinnerten Szenen oftmals Jugenderinnerungen des Lesers.
Jenny Erpenbeck : Gehen, ging, gegangen, Albrecht Knaus Verlag, München 2015, 352 Seiten.
Eine Geschichte über Flüchtlinge, aber eben nicht nur. Es geht auch um einen Professor im Ruhestand, der plötzlich Zeit hat, sich mit den fremden Menschen um ihn herum zu befassen und der sogar durch diese neuen Begegnungen wieder ins Gespräch mit alten Freunden kommt. Die stumme Masse der Flüchtlinge bekommt hier einzelne Stimmen. Jede davon hat eine individuelle Geschichte. Jenny Erpenbeck zeigt damit auch, wie aufwendig es ist, jeden dieser Einzelfälle zu prüfen.
Chrisoph Ransmayr : Der fliegende Berg, S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2006, 368 Seiten.
Der fliegende Berg ist die Geschichte zweier Brüder, die von der Südwestküste Irlands in den Transhimalaya, nach dem Land Kham und in die Gebirge Osttibets aufbrechen, um dort, wider besseres (durch Satelliten und Computernavigation gestütztes) Wissen, einen noch unbestiegenen namenlosen Berg zu suchen, vielleicht den letzten Weißen Fleck der Weltkarte. Auf ihrer Suche begegnen die Brüder nicht nur der archaischen, mit chinesischen Besatzern und den Zwängen der Gegenwart im Krieg liegenden Welt der Nomaden, sondern auf sehr unterschiedliche Weise auch dem Tod. Nur einer der beiden kehrt aus den Bergen ans Meer und in ein Leben zurück, in dem er das Rätsel der Liebe als sein und seines verlorenen Bruders tatsächliches, lange verborgenes, niemals ganz zu vermessendes und niemals zu eroberndes Ziel zu begreifen beginnt. Verwandelt von der Erfahrung, ja der Entdeckung der Wirklichkeit, macht sich der Überlebende am Ende ein zweites Mal auf den Weg.
Anne Richter : Fremde Zeichen. Osburg Verlag, Hamburg 2013, 239 Seiten.
Wer hat ihn nicht, den Traum vom glücklichen Leben? Anfang der sechziger Jahre lernen sie sich beim Landwirtschaftspraktikum kennen: Hans, der künftige Biologiestudent, aufgewachsen in einem thüringischen Dorf, und Margret, die Professorentochter aus der Universitätsstadt. Das Glück scheint zum Greifen nah. Doch die familiäre Herkunft des jungen Paares und die Vergangenheit ihrer Familien könnten unterschiedlicher nicht sein. Die emotionale Kühle ihres Elternhauses lässt Margret nicht los, Hans holen immer wieder die Ängste seiner Dorfkindheit ein. Als die Mauer fällt, wagen sie einen Neuanfang, ebenso wie ihre Tochter, die in den Süden Frankreichs aufbricht.
Mit ihrem Debütroman führt Anne Richter ihre Leser durch die Zeit. Von den Anfängen der DDR bis zum Mauerfall erzählt sie die Geschichte von zwei Familien über drei Generationen hinweg.
Dabei schreibt die Autorin aus der Sicht von unterschiedlichen Personen des Romans und ermöglicht somit einen Einblick in deren Denkweisen und Persönlichkeitsentwicklungen. Mit einem neutralen, aber ehrlichen Schreibstil beschreibt Anne Richter gesellschaftliche Unterschiede in der DDR und wie diese aufeinander treffen, sich aneinander aufreiben und miteinander agieren.
Zum einen stellt die Heidelberger Autorin die internen Vorgänge und Entwicklungen einer Familie dar und zum anderen erzählt sie davon, wie sich einzelne Personen mit dem gesellschaftlichen System arrangierten, sodass man einen vielseitigen Einblick in Einzelschicksale dieser Epoche erhält.
Durch Beschreibungen von Alltäglichkeiten schafft Anne Richter ein simples, aber aufwühlendes Umfeld für den Leser, da gerade diesen Alltagsgeschehnissen eine Kälte innewohnt, die einen ergreift und zum Nachdenken bringt. Aus diesem Grund ist „Fremde Zeichen“ ein Roman, für den man sich Zeit nehmen sollte, um sich auf ihn einzulassen, ihn zu verstehen und zu verarbeiten.
Sophia Philipp