Eine Samenbank der Nobelpreisträger und Wissenschaftler, um durch intelligente Selektion die Evolution selbst in die Hand zu nehmen, gezeugte Superbabys und der Wunsch nach einer neuen Geniespezies, das alles klingt nach Sciencefiction. Tatsächlich jedoch gab es so eine Samenbank der Genies („The Reposity for Germinal Choice“), welche von dem US-Millionär Robert Graham in den 80er Jahren gegründet wurde, mit dem Wunsch ein klügeres Amerika zu schaffen. Insgesamt wurden durch das Experiment mehr als 200 sogenannte Retortenkinder gezeugt. Benedict Wells greift diese fast in Vergessenheit geratene Geschichte in seinem Roman „Fast genial“, erschienen 2011 im Diogenes Verlag in Zürich, wieder auf. Der Protagonist Francis wächst als mittelloser Junge in einem Trailerpark mit seiner manisch depressiven Mutter auf, trauert der Zeit hinterher, als beide noch mit seinem Stiefvater und Halbbruder zusammengewohnt haben und hält sich und seinen unbekannten Vater für einen absoluten Versager. Nach einem Selbstmordversuch der Mutter erfährt Francis durch ihren Abschlussbrief seine wahre Herkunft: er ist ein Retortenbaby und sein Vater ein renommierter Wissenschaftler, welcher in Harvard studiert hat. In dieser Entdeckung sieht Francis seine Chance, doch noch etwas aus seinem Leben zu machen und er beschließt seinen wahren Vater zu finden. Gemeinsam mit seinem besten Freund Groover und Ann-May, einem Mädchen, das er während eines Klinikaufenthaltes der Mutter kennengelernt hat, begibt er sich auf einen Roadtrip, welcher die drei auf der Suche nach den Akten der Samenbank nach New York und über Las Vegas und den Besuch des Wunderkindes bis nach Südamerika führt. „Fast genial“ ist hierbei ein unterhaltsamer, fesselnd geschriebener Roman, der die Entwicklung eines Teenagers zu einem Erwachsenen beschreibt. Mit seinem Roman streift Wells Themen, wie Präimplationsdiagnostik, den Irakkrieg oder soziale Ungleichheit. Jedoch kratzt er leider nur an deren Oberfläche und geht nicht tiefer auf logisch folgende Fragen der Thematik ein, wie zum Beispiel die, ob Intelligenz nur Folge genetischer Veranlagungen ist, beziehungsweise was überhaupt ein Genie definiert. Somit bleibt jedoch genug Platz für die berührende Erzählung eines Jungen, der seinen Platz in der Gesellschaft sucht und somit vor allem für jüngere Menschen Indentifikationspotenzial bietet. Wells widmet sich auch den Auswirkungen der Kindheit auf das spätere Leben, er reflektiert die unterschiedlichen Möglichkeiten, die Francis gehabt haben könnte, wäre er anders aufgewachsen, aber auch den Einfluss von Geld und die Unterschiede sozialer Schichten. So stammt zum Beispiel Anne-May aus einer wohlhabenden Familie, während Francis selbst, aufgewachsen in ständiger Geldsorge, um die Anerkennung der Eltern von Ann-May kämpfen muss. Es ist eine Geschichte über das Erwachsenwerden, über die erste Liebe, über Selbstzweifel und über die ständige Angst vor der Zukunft. Zusammenfassend verzichtet Benedict Wells zwar auf einen Tiefgang in bestimmten Themen, jedoch wirken somit die individuellen Träume der einzelnen Protagonisten umso realistischer. Der Roman ist besonders für junge Menschen interessant, die sich ebenfalls gerade in der Umbruchsphase zum Erwachsenenleben befinden. Er appelliert an sie, ihre Träume zu verwirklichen und sich nicht von anderen abhalten zu lassen. Wells hält die Spannung bis zur letzten Seite und hat damit einen nicht nur fast genialen Roman erschaffen!
Emilia Arnold